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Ein Beitrag aus der

Landlust Zuhaus

Selbstgemacht

Alte Möbel bunt beklebt

Elisabeth Thobe

Im Atelier Feinschliff arbeiten Anu Neumann und Ute Schmidjörg alte Möbel auf und verschönern sie mit gemustertem Papier. Ein Besuch.

Das erste Möbelstück, das Anu Neumann verwandelte, stand im Zimmer ihres Sohnes. Das Holzregal hatte die beste Zeit schon hinter sich, als die studierte Bildhauerin es kurzerhand mit einer Tapete im bunten 1970er Jahre Muster beklebte. Es folgten eine alte Küchenvitrine, ramponierte Schränke und ein zerkratzter Hocker. Möbel mit angestaubtem Äußeren, denen sie mit gemusterten Tapeten und feinem Papier ein neues Leben aufklebte.

Heute, mehr als zehn Jahre später, haben Anu Neumann und ihre Geschäftspartnerin Ute Schmidjörg die Technik und das Material perfektioniert. In ihrem Atelier Feinschliff im Leipziger Stadtteil Gohlis fügen sie Holzmöbel und Papier zu originellen Unikaten zusammen. „Die beiden Materialien ziehen sich einfach an“, sagt Ute Schmidjörg. Derselbe natürliche Ursprung, die angenehme Haptik, die optische Vielfalt – für das Aufarbeiten von Möbeln konnte sich die ehemalige kaufmännische Angestellte schnell begeistern. „Ich wollte eigentlich schon immer handwerklich und kreativ arbeiten.“

Zwei Jahre experimentierten die Freundinnen in ihrer Freizeit. Schliffen, lackierten und beklebten zunächst mit Tapeten vor allem kleineres Mobiliar für den eigenen Gebrauch. „An einem Wochenende in Berlin entdeckten wir dann wunderschöne italienische Buchbinderpapiere“, erzählt Anu Neumann. „Und es stellte sich heraus, dass sie sich viel besser verarbeiten lassen als Tapeten.“ 2011 machten sie sich dann als Atelier Feinschliff selbstständig.

In der Anfangsphase im Atelier von Anu Neumann im fünften Stock eines Wohnhauses, als die Möbel zu groß für die schmale Treppe wurden, zogen sie in ein Ladenlokal in der Stadt. Seit 2019 sind sie jetzt Teil des Kulturhofs Gohlis, zu dem auch andere Künstlerwerkstätten, eine Musikschule, Veranstaltungsräume und ein Café gehören.

Ranken, Kreise, Blumenmuster

Zwei Räume haben sie in dem ehemaligen Fabrikgebäude im Leipziger Norden gemietet. Der vordere Raum ihres Ateliers mit den großen Industriefenstern dient als Ausstellungs- und Verkaufsraum, der hintere ist die Werkstatt. Betritt man das helle Atelier, braucht man etwas Zeit, um alle Farben, Muster und die feinen Veränderungen der Möbel zu entdecken: Hier wurden ein paar neue Griffe angebracht, da die schweren Holzbeine gegen schlichte Stützen aus Metall getauscht. Die weiß bemalten Türen einer Kommode sind mit mintgrünen Ranken beklebt. Über ein Buffet verlaufen blaue Rauten und orangefarbene Kreise. Die Schubladen eines Schranks aus den 1950ern zieren Linien in Weiß und Rot.

In den Regalen liegen ordentlich aufgereiht bunt beklebte Nähkästchen, Kleiderhaken und Karteikästen. Historische Vogelmotive verschönern Deckel, 1970er Jahre Blumenmuster legen sich über alte Garderoben und auf einer großen Spieltruhe segeln bunte Boote über einen blauen Grund. Jedes Stück im Atelier ist einzigartig in seiner Muster- und Farbkombination. Doch optisches Chaos bleibt aus. Anu Neumann und Ute Schmidjörg arbeiten vor allem mit matten, satten Farbtönen, die gut harmonieren. Inspirieren lassen sie sich von den 1960er und 70er Jahren: Kräftige Farben wie Orange, Sonnengelb oder Avocadogrün auf hellem Untergrund, Blumen und grafische Muster.

Neben ihren eigenen Stücken fertigen sie auch Auftragsarbeiten für Kunden, die sie bei der Farb- und Musterwahl beraten. „Manchmal sehe ich ein Möbelstück und weiß sofort, welches Papier ich dazu wähle“, sagt Ute Schmidjörg. Ein anderes Mal dauere es Tage oder Wochen, bis ein Gefühl für die Gestaltung entsteht. „Oft kommt die Eingebung, wenn wir die alte Farbe abschleifen und das ursprüngliche Holz das erste Mal sehen“, erklärt Anu Neumann. Dazu nehmen die beiden zunächst alle Griffe, Scharniere oder Haken vom Möbel ab. Der Lack wird mithilfe eines speziellen Heißluftföhns abgekratzt und das Holz geschliffen – oft stundenlang.

Nachdem die alte Schicht entfernt wurde, greifen Anu Neumann und Ute Schmidjörg zum Papier – Hunderte Bögen Buchbinderpapier in allen Farben und Mustern lagern in ihrer Werkstatt. „Am Anfang haben wir überschwänglich rundum beklebt, das war eindeutig zu viel“, sagt Ute Schmidjörg. „Heute arbeiten wir reduzierter, konzentrierter mit dem Papier.“ Das ursprüngliche Möbelstück soll nicht versteckt – sondern zu etwas Schönem und Neuem aufgearbeitet werden.

Kleben und Glätten mit Augenmaß

Das exakte Ausmessen und Zuschneiden machen die Frauen in ihrer Werkstatt wie alles andere von Hand. Dafür braucht es einige Erfahrung mit den Eigenheiten des Papiers, denn das dehnt sich aus, wenn im Anschluss der Leim aufgetragen wird. Nach dem Kleber haben die beiden jahrelang gesucht. Er sollte gut auf den Möbeln haften, ohne das Papier zu verfärben. Kleber mit einer Rolle auf dem Papier auftragen, vorsichtig auf dem Holz positionieren und anschließend glatt andrücken: Alle Arbeitsschritte erfolgen nach Augenmaß und möglichst perfekt. Übergänge sollen nicht zu sehen sein. Ist alles getrocknet, wird die Oberfläche mit einem Lack versiegelt. So lässt sich der beklebte Teil der Möbel abwischen. Zum Schluss bekommen die Unikate noch passende Griffe oder neue Beine, Schrauben werden ersetzt oder Türen gerichtet. Leicht soll alles wirken und so, als wäre es immer schon genau so gedacht gewesen.

Inzwischen arbeiten Ute Schmidjörg und Anu Neumann auch häufiger mit Möbel-Linoleum, das sie als Oberfläche für Kommoden oder Hocker nutzen. „Linoleum ist ein natürliches Material, genau wie Holz und Papier“, erklären sie. Nachhaltigkeit ist für beide Frauen ein großer Teil ihrer Motivation: aus alten, abgelegten Möbeln etwas Neues zu erschaffen und wieder in Lieblingsstücke zu verwandeln. So wie die beiden Schulstühle – der eine mit einem orangen Muster beklebt, der andere in Blau und Weiß – oder die alten Setzkästen, die jetzt als Pinnwände dienen. „Als Künstlerin musste ich die Bedeutung meiner Bildhauerei immer erklären, das fand ich schwierig“, sagt Anu Neumann. „Jetzt stellen wir Möbel her, die keine Erklärung brauchen. Sie werden genutzt und machen Freude.“

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