Zum Hauptinhalt wechseln

Ein Beitrag aus der

Landlust Zuhaus

Reportage

Kleines Haus neben großer Linde

Karina Goldmann

Katharina Reckendorfer hat mit ihrer Familie ein kleines Haus neben einer großen Linde gekauft, das sie schon als Kind von außen bewunderte. Nun blüht es unter ihren Händen wieder auf.

Auf den ersten Blick erinnert das Häuschen von Katharina Reckendorfer und Martin Ofenschüssl im österreichischen Schönkirchen-Reyersdorf an ein Baumhaus. Eine mächtige Linde schmiegt sich an die Südseite der Fassade. Der Baum ist vermutlich so alt, wie das um 1880 erbaute Gebäude. Früher stand darin eine Weinpresse. Es gibt im niederösterreichischen Weinviertel noch viele dieser Presshäuser. Als sie nicht mehr als solche gebraucht wurden, führten sie häufig ein zweites Leben als Wohn- oder Wochenendhaus. Ähnlich erging es dem neuen Zuhause der jungen Familie.

Verwandlung mit Vorgeschichte

Bereits in den 1940er Jahren stockte eine Wiener Familie den eingeschossigen Ziegelbau eine Etage auf, um ihn als Sommerhaus zu nutzen. Katharina Reckendorfer kennt das Gebäude noch aus ihrer Kindheit. Schon damals war sie von der beeindruckenden Linde und dem Häuschen fasziniert. Umso größer die Freude, als sie und ihr Mann es samt des 1000 Quadratmeter großen Garten kaufen konnten. „Ich hatte das Gefühl, eine Zeitreise in die 70er Jahre zu machen“, erinnert sich die Grafikerin und Fotografin an die erste Besichtigung der komplett eingerichteten Räume.

Das Erdgeschoss, in dem früher die Weinpresse stand, hatten die Vorbesitzer nicht zum Wohnen genutzt. Hier ließen die Reckendorfers alles, wie es war. Die Fläche bot in dem kellerlosen Haus nützlichen Stauraum und Platz für die Gastherme. Damit es ihnen im Stockwerk darüber zum Wohnen nicht zu eng wird, ließen sie einen schmalen Anbau in Holzriegelbauweise errichten, der mit Lärchenholz verkleidet ist. So entstand zusätzlich Platz für Toilette, Abstellkammer, eine Garderobe und für eine Haustür, die über eine Außentreppe aus Stahl erreichbar ist. Auf dieser Ebene des Hauses liegen Küche, Wohnbereich sowie das Bad. Das Dachgeschoss baute die Familie eigenhändig aus. Jetzt sind dort ein Schlafzimmer und das Kinderzimmer der siebenjährigen Tochter Linda untergebracht. Dank der Erweiterung kommen sie nun auf insgesamt 120 Quadratmeter Wohnfläche.

Neben Platz wünschten sich die neuen Eigentümer ein luftigeres Ambiente: weg von vielen kleinen, teilweise dunklen Räumen hin zu einem Grundriss in offener und heller Bauweise – vor allem im Wohn- und Essbereich. Sie entschieden sich für eine dreieinhalb Meter breite verglaste Faltschiebetür, die auf die neue Holzterrasse aus thermisch behandelter Kiefer führt und viel Licht ins Haus schleust. An der Seite, wo die Linde steht, ließen sie ein festverglastes Fenster mit Sitzbank einbauen. So wirkt der dicke Stamm des Lindenbaums wie ein wandfüllendes Bild.

Fast jede Wand ist anders

Auch für die Gestaltung der übrigen Wände ließ sich die Fotografin an der Wiener Universität für angewandte Kunst einiges einfallen. Im Wohnbereich durften die unterschiedlichen Tapeten- und Putzschichte der vergangenen sieben Jahrzehnte sichtbar bleiben. Die Oberfläche wurde nur grob gesäubert und mit Tiefengrund versiegelt. An anderer Stelle lächelt Katharinas Großmutter in Lebensgröße von einer schwarz-weißen Fototapete. Sie steht neben ihrem ersten Auto. Inspiration brachte die Familie auch aus dem Urlaub bei Freunden in Vorarlberg mit, wo die Bauernhäuser traditionell mit Holzschindeln verkleidet sind. Stück für Stück befestigte sie ihr Mann Martin mit einem Drucklufttacker an der Wand des Kinderzimmers. Im Elternschlafzimmer verkleidete die 40-Jährige eine Wand mit dem alten Küchenboden aus dem Presshaus: „Ich liebe die Holzdielen mit all ihren Altersspuren und der Patina.“

Am meisten freut es Katharina Reckendorfer, alten Dingen eine zweite Chance zu geben. Im Haus vorgefundenes Mobiliar, das ihr besonders erschien, durfte bleiben. Vor allem Stücke aus den 1950er und 60er Jahren hatten es ihr angetan, darunter eine Kommode, ein Couchtisch und eine ausklappbare Schrankbadewanne im Bad – sie war noch original verpackt. Alte Bauteile bekamen neue Aufgaben. Den Aufgang vom Treppenhaus hat sie mit Fensterflügeln eines Abbruchhauses eingehaust. Und aus den Innen-Fensterläden ihres Elternhauses sind Schiebetüren für den Schlafzimmerschrank in einer Dachschräge geworden. Selbst der alte Garten blüht mit frisch angelegten Blumenbeeten neu auf. Der Anbau alter regionaler Bauernsorten, die sie zu lockeren Sträußen bindet und verkauft, hat sich mittlerweile zu einem zweiten beruflichen Standbein entwickelt. Im einstigen Presshaus entfalten sich neue Talente wie von allein.

Weitere interessante Inhalte